Stop Trying To Delight Your Customer!

Meine Arbeit im Research Office Consulting bringt es mit sich, dass ich im Netz nach interessanten Artikeln aus allen Bereichen des Customer Care, Customer Experience Management (CEM), CRM und IT Service Management Ausschau halte. Bei einer Literatur-Recherche zum Thema CEM fiel mir ein Artikel auf, der sich von den anderen grundlegend abhebt.

«Stop Trying to Delight Your Customer»1 heisst der Artikel aus der Harvard Business Review (HBR), und er vertritt die heute sehr konträre Auffassung, dass Kunden nicht primär begeistert, sondern ganz einfach schnell und unkompliziert bedient werden wollen, wenn sie ein Anliegen an den Kundenservice haben.

Der Titel erscheint auf den ersten Blick eher fehl am Platz und sogar befremdlich im Zeitalter der Kundenökonomie, wo mehr und mehr die Kunden bestimmen, wo es lang geht, und Firmen versuchen, sich durch konsequentes und effizientes Customer Experience Management erfolgreich von ihren Konkurrenten abzuheben. Es soll doch alles getan werden, um die Erwartungen der Kunden zu übertreffen und freudige Überraschung hervorzurufen? Dieses Credo hat sich doch gerade erst durchgesetzt, und nun behauptet der Artikel das Gegenteil? Was steckt dahinter?

Die Grundlage für den HBR Artikel ist eine gross angelegte Studie, bei der Interaktionen mit Contact Centern und Self-Service Plattformen untersucht wurden. Das Resultat der Umfrage zeigt, dass das Einzige, was Kunden wirklich wollen, aber wohl selten erhalten, einfach eine fallabschliessende Lösung für ihr Service Problem ist. Das bedeutet konkret, Firmen sollten sich darauf konzentrieren, dass ihre Kunden möglichst wenig Aufwand («Effort») betreiben müssen, um ihr Problem zu lösen. Dieser Aufwand wird in einer neuen Kennzahl dargestellt: dem Customer Effort Score (CES). Den CES möglichst gering zu halten, kann die Wahrscheinlichkeit, dass die Kunden a) wiederkehren, b) positiv und NICHT negativ über die Firma sprechen und c) zu loyalen Kunden werden, massiv erhöhen.

Eine weitere Erkenntnis der Studie ist, dass Kunden sehr gerne dazu bereit sind, schlechten Service zu bestrafen, aber weit weniger schnell dazu, aussergewöhnlichen und unerwartet guten Service zu belohnen oder zu loben. Dies spielt eine wesentliche Rolle bei den am häufigsten verwendeten Kanälen Telefon und Self-Service. Hier hat Loyalität offenbar viel eher damit zu tun, wie gut die Firmen ihre Grundversprechen einhalten als damit, ob sie glanzvolle überraschende Service-Erfahrungen bieten. Die Untersuchung zeigte nämlich auch, dass Kundenerwartungen zu übertreffen, sei das durch einen Preisnachlass, ein gratis Produkt oder Gratisversand u.ä., die Kunden nur marginal loyaler macht, als wenn einfach nur ihre Erwartungen erfüllt werden.

Man kann also zwei Schlussfolgerungen ziehen: Erstens, Kunden zu begeistern, schafft für sich allein nicht unbedingt Loyalität. Ihren Aufwand zu vermindern, also die Arbeit und Zeit, die sie investieren müssen, um ihr Problem gelöst zu bekommen, tut das. Zweitens, wenn man diese Erkenntnis berücksichtigt, kann dies nicht nur den Kundenservice verbessern, sondern auch die Kosten dafür verringern und Kundenabwanderung verhindern.

Der Grund, warum 80% der Service Organisationen sich dennoch fast ausschliesslich darauf konzentrieren, Kundenerwartungen zu übertreffen, ist gemäss den Autoren, dass sie ihr Hauptaugenmerk auf die Erhebung der Kundenzufriedenheit, also die Erfahrung der Kunden während dem Service-Erlebnis (Customer Satisfaction – CSAT) legen. Die zweite Kennzahl, die häufig auch erhoben wird, ist der Net Promoter Score (NPS), der ebenfalls auf der Messung der Kundenzufriedenheit (aufgrund der Weiterempfehlungsbereitschaft) basiert. Diese Kennzahlen sind zwar interessant und sicherlich auch relevant, aber sie geben wenig Hinweis darauf, was ein Kundendienstleiter verbessern müsste und was er konkret unternehmen könnte, um die Kunden seiner Organisation glücklicher und loyaler zu machen. Die Studie macht deutlich, dass der Customer Effort Score als zusätzliche und ergänzende Kennzahl viel dazu beitragen kann, das Bild zu vervollständigen.

Die Service Agenten sollten ihren Fokus auf die Problemlösung und nicht vordringlich auf Schnelligkeit legen und gleichzeitig versuchen sicherzustellen, dass der Kunde einerseits den Kommunikationskanal nicht wechseln und andererseits das Service Center kurz- oder mittelfristig nicht noch einmal kontaktieren muss. Folgeprobleme sollten idealerweise bereits antizipiert und proaktiv im Erstkontakt angegangen werden. Die Anweisung, den Aufwand für die Kunden gering zu halten, kann für einen Kundenservice-Agenten sehr befreiend sein, da sie für ihn wesentlich einfacher und meist schneller umzusetzen und konkret nachzuvollziehen ist als diejenige, den Kunden zu erfreuen («delight») oder positiv zu überraschen. Nicht zuletzt können auch Kosten gespart werden, wenn man auf allzu zahlreiche «Sonderüberraschungen» verzichtet. Kunden, die zur Lösung ihrer Probleme mehr Aufwand betreiben müssen als erwartet, kommen laut Studie nicht zurück. Dies macht Sinn, denn das kostbarste Gut der heutigen Kunden ist Zeit. Hoher zeitlicher Aufwand führt daher unweigerlich zu niedriger Kundenloyalität. Mit Hilfe des CES können Kundendienstleiter diesen spezifischen Aufwand messen und entsprechende Massnahmen entwickeln, um ihren Kunden den Umgang mit der Kundendienstabteilung zu vereinfachen.

Zusammenfassend kann man sagen, dass es sicher falsch wäre, NPS und CSAT als Kennzahlen zu vernachlässigen und sich nur noch auf die Aufwandsreduktion zu konzentrieren, Firmen wären aber sicherlich gut beraten, neben NPS und CSAT auch den CES als zusätzliche Kennzahl bei der Analyse der Kundenbeziehungen mit zu berücksichtigen.

Das Consulting Team von PIDAS verfügt über das notwendige Wissen und die praktische Erfahrung, Ihnen nicht nur zu zeigen, wie man die relevanten Kennzahlen richtig erhebt, sondern Ihnen auch praktisch darzustellen, wie sie CES ideal mit Ihren bereits gemessenen Kennzahlen kombinieren und im Customer Experience Management bei der Erstellung der Customer Experience Journey mit einbinden können.

Simone Lei Hugentobler (Consultant bei PIDAS)

Quelle: Dixon, Matthew; Freeman, Karen; Toman, Nicholas: Stop Trying to Delight Your Customers, Harvard Business Review, July-August 2010.

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